Die Krise des Fotojournalismus (Teil 2)
Wie ich 1993 meinen ersten Besuch in einem südafrikanischen Township erlebt habe und warum dieser waghalsige Trip am Ende nahezu ungefährlich war.
1993, also ein knappes Jahr vor dem offiziellen Ende der Apartheid, fotografierte ich einen jungen Künstler im Township Fingo in der Nähe der Studentenstadt Grahamstown. Ungefährlich war mein damaliger Portraittermin in eines der ärmsten und gewalttätigsten Wohnviertel Südafrikas wohl nur aus einem Grund:
Obie Oberholzer, Südafrikas berühmtester Fotograf, organisierte meinen Besuch ins Elternhaus des talentierten 16 jährigen Kartoonzeichners „Art“ bis ins kleinste Detail. Und am Tag der Wahrheit stellte er mir gar seinen Assistenten Metthew zur Seite. Metthew verbrachte sein ganzes Leben im Fingotownship. Jeder dort kannte ihn als „The Photographer“ und er genoss bei allen großen Respekt.
Als mein Besuch bei Art dann – wie von Obie Oberholzer vorausgesagt – für einen schier unüberschaubaren Menschenauflauf sorgte, war mein ewig lächelnden Begleiter Metthew mein Aufpasser, Übersetzer, Fahrer und Fotoassistent in Einem. Dank ihm konnte ich Art eine gute Stunde lang nahezu ungestört, vor allem aber ohne in irgend einer Weise gefährdet zu sein, fotografieren. Ohne eine derartige Rückendeckung wäre mein damaliger Trip ein äußerst riskantes Unterfangen gewesen.
Tourismus in den Townships
Wie im Jahr 2000 die Tourismustouren in die südafrikanischen Townships wirklich funktionieren und was die Bildredakteure zweier namhafter deutscher Reisemagazine zu meiner Fotoreportage gesagt haben.
Das im Jahr 2000, also knappe sieben Jahre nach meinem Besuch im Fingotownship, gut situierte amerikanische und europäische Touristen im Stile einer Sightseeing-Tour durch die immer noch entsetzlich anmutenden Armenviertel Südafrikas kutschiert werden, irritierte mich gleich in mehrfacher Hinsicht. Die erste Frage, die ich mir stellte war:
Wie sicher können derartige Touren überhaupt durchgeführt werden?
Die Kriminalitätsrate hatte sich in Südafrika – entgegen vieler gut gemeinter Prognosen – auch sieben Jahre nach dem Ende der Apartheid, nicht merklich verbessert. Townships waren und sind aus vielerlei Gründen brandgefährliche Orte!
Vor dem Start zu meiner ersten Townshiptour mit dem Veranstalter “Grassroute-Tours“ sprach ich mit dem erfahrenen Tourguide Allan über meine Bedenken:
„Alle von uns angebotenen Touren in die Townships sind sicher. Wir fahren immer nur sorgfältig abgesteckte Routen ab und machen nur an ausgewählten Orten halt. Unsere Tourguides kennen sich bestens aus in den Townships. Wichtig ist allerdings auch, das Verhalten unserer Tourteilnehmer selbst. Unsere Anordnungen vor und insbesondere während einer Tour, haben oberstes Gebot,“ erzählt er mir in seinem Kapstädter Büro. Den wichtigsten sicherheitsrelevanten Aspekt verschwieg Allan mir allerdings:
„Diese Touren können niemals ohne die Zustimmung der ortsansässigen Taxiunternehmen durchgeführt werden.“
Das sagte mir einige Tage zuvor der ehemale Kölner Radprofi Guido Eickelbeck. Er lebte schon seit vielen Jahren in Kapstadt und hatte sich dort als Veranstalter von internationalen Radrennen einen Namen gemacht.
„In den Townships läuft nichts ohne den Professor!“
verriet er mir am Pool seines Hauses im schnieken Kapstädter Vorort Camps Bay. Und „The Professor“ war Chef des größten Taxiunternehmens im 1,5 Millionen Einwohner zählenden Township Khayelitsha.
Guido hatte die verrückte, aber interessante Idee, ein mit europäischen Topfahrern besetztes Radrennen zu veranstalten – mitten im Township Khaylitsha! Namhafte Sponsoren, die Tourismusbehörde und der Kapstädter Polizeichef persönlich, hatten seinem waghalsigen Vorhaben bereits zugestimmt. Nur „The Professor“ zierte sich noch ein wenig, dem Startschuss des ersten Radrennens in einem südafrikanischen Township seinen Segen zu erteilen. Guido und seine beiden wichtigsten Sponsoren sollten ihn am Nachmittag am Ortseingang von Khayelitsha treffen und ich durfte dabei sein.
Vom vereinbarten Treffpunkt aus stiegen wir ins Großraumtaxi des Professors, um an die für das Radrennen vorgesehene Rennstrecke zu fahren. Der Professor war sehr freundlich und zuvorkommend und da Guido mich ihm als „German Journalist“ vorgestellt hatte, fühlte ich mich genötigt ihn während der holprigen Fahrt über mies asphaltierte Straßen mit Fragen zu bombardieren.
Er bestimmt wo`s langeht! “The Professor” ist Chef des größten Taxiunternehmens im 1,5 Millionen Einwohner zählenden Township Khayelitsha.Als ich ihm von meinem Vorhaben erzählte, eine Reportage über die neuartigen Tourismustouren in die Townships machen zu wollen, fragte ich ihn natürlich auch, ob derartige Unternehmungen nicht viel zu gefährlich für die Teilnehmer seien.
Mit einem überlegenen Lächeln drehte sich „Der Professor“ zu mir nach hinten: „Sir, you don`t need to worry anything. Everything is organized perfectly!“
Das darauffolgende Gelächter meiner beiden Begleiter ließ mich zwar einen Moment lang wie einen Schuljungen dasitzen, aber ich verstand, hielt die Klappe und freute mich auf die kommenden sieben Tage mit den Tourguides von „Grassroute-Tours“.
Erst ins Museum, dann in die Townships
Alle Touren in die Townshps Langa, Goguletu und Khayilitsha starteten im „District Six Museeum“. Der District Six war bis zu seiner vom weißen Apartheidregime gewaltsam durchgeführten Räumung 1966 ein multikulturelles Viertel in dem die unterschiedlichsten ethnischen Gruppen lebten. Das Museum thematisiert die Zeit vor und nach der Umsiedlung der Bewohner in die Townships.
Das District Six Museum, am Stadtrand von Kapstadt.Warum fahren Touristen in diese Elendsviertel?
Die Townships des meist bereisten Landes Afrikas sind weder durch die Abschaffung der Apartheidpolitik, noch durch die sicher und perfekt organisierten Tourismustouren ansehnlicher geworden. Es bleiben Elendsviertel, die die Ärmsten der Armen in notdürftig zusammen gezimmerten und viel zu kleinen Wellblechhütten beherbergen – Hunderttausendfach.
Anders war nur, dass seit der Urlaubssaison 1999, findige Tourveranstalter einen sorgfältig selektierten Teil der bitterarmen Townshipbewohner zu Protagonisten befördert haben. Gespielt wurde das Drama Südafrikas. Und „Golden“, 35 beherrschte seine Rolle nahezu perfekt. Er ist Blechblumenkünstler und erzählte seinen – vornehmlich aus Europa und den USA angereisten Besuchern – täglich vom tristen Leben in den Townships. Alkohol- und Gewaltexzesse bestimmten sein Leben, bevor er mit Mitte zwanzig angefangen hat, aus weggeworfenen Blechresten, Blumen zu basteln. Arm sei er jetzt zwar immer noch, erzählt er seinen Kurzbesuchern, aber sein Leben habe jetzt einen Sinn. Ein Dutzend Mal habe ich mir seine rührende Geschichte anhören dürfen, denn Goldens kleine Künstlerwerkstatt war ein fester Bestandteil im Programm aller Tourveranstalter. Was an ihr wahr und was frei erfunden ist, wollte ich nicht beurteilen. Der Verkauf seiner handgefertigten Blechblumen lief jedenfalls glänzend.
Barackenbesichtigung unter Aufsicht. Gegen Mittag betrat ich, ein Tourguide und etwa 10 Touristen eine der heruntergekommenen „Stonehouses“ die man Township Khayilitsha hunderttausendfach vorfindet. Zu Besuch beim „Wishdoctor“ des Townships Khayilitsha.
Die Tourguides versuchten uns ihre organisierten, extraordinären Trips durch die Hölle als „positiven Beitrag“ zur besseren Völkerverständigung zu verkaufen. Menschen, die das wunderschöne Land Südafrika bereisen, konnten nun auch einen Blick in die ursprünglich für weiße unzugänglichen Townships wagen. Oder bot der etwa vierstündige Aufenthalt dort mehr? Jeder Teilnehmer an einer solchen „Sightseeingtour“ durch südafrikanische Elendsviertel mag dies unterschiedlich beurteilen. Ich selbst war bei jeder dieser Touren hin und hergerissen.
Abschied aus der Hölle. Im klimatisierten Reisebuss verließen wir nach einem etwa vierstündigen Aufenthalt das Township in Richtung Kapstadt.